top of page

Gerechtigkeit

Dauerhafte Normalzeit: Für einen selbstbestimmten Umgang mit Zeit und Tageslicht, als ein Recht auf Gesundheit und für Inklusion statt Diskriminierung.

yasin-yusuf-fMh-VTuMHQs-unsplash_edited_

Normalzeit für einen selbstbestimmten Umgang mit Zeit und Tageslicht

​

Wer möchte nicht nach der Arbeit eine zusätzliche Stunde Sonnenlicht genießen, grillen, im Freien Sport treiben ...? Dieser Genuss kommt vielen Menschen in den Sinn, wenn von der Sommer-Uhrzeit gesprochen wird.

Aber hinter der Sommer-Uhrzeit steckt eine stillschweigende Verpflichtung: Durch die Sommer-Uhrzeit ist es nicht abends länger hell. Wir gehen lediglich eher zu Bett und müssen eine Stunde eher aufstehen.

Es muss also eine andere Frage gestellt werden: Wer möchte gern eine Stunde früher aufstehen müssen? Für die meisten Menschen ist das keine angenehme Sache. Die Mehrheit benötigt an Arbeitstagen einen Wecker, was bedeutet, dass ihre Aufstehzeit zu früh für ihren biologischen Schlafbedarf ist.

Die Wahl, die wir treffen müssen, lautet also:  Möchte ich morgens eine Stunde eher aufstehen müssen und abends eher zu Bett gehen, habe dafür aber das Vergnügen von einer Stunde mehr Sonnenlicht nach der Arbeit oder möchte ich lieber morgens länger schlafen können, dafür aber diese zusätzliche Stunde Sonnenlicht verpassen?

​

BetterTimes ist der Meinung, dass jeder Mensch das Recht haben sollte, Tagesabläufe zu wählen, die seinem biologischen Schlafbedarf gerecht werden oder auch solche, die das Tageslicht auf die gewünschte Weise ausnutzen, zum Beispiel eine Stunde mehr Licht nach der Arbeit garantieren. Wir verstehen dies als Teil eines selbstbestimmten Umgangs mit Zeit.

Das Wahlrecht wurde jedoch durch ein gefährliches Missverständnis entführt. Viele Menschen glauben, die Wahl zwischen "mehr Licht nach der Arbeit" und "Länger schlafen am Morgen" sei eine Wahl zwischen Sommer-Uhrzeit und Normalzeit. Nur die Sommer-Uhrzeit, so die fälschliche Annahme, mache eine Stunde mehr Licht nach der Arbeit möglich. Dem ist jedoch nicht so. Die Wahl, am Morgen früher aufzustehen und dafür eine Stunde mehr Licht nach der Arbeit zu haben, steht auch unter Normalzeit zur Verfügung. Denn es gibt viele Möglichkeiten, sich individuell einen früheren Tagesablauf zu organisieren:

​

  • Die meisten Jobs beginnen ohnehin früh.

  • Die meisten Chefs sind für frühere Arbeitszeiten empfänglich. Ein früherer Arbeitsbeginn hat ein gutes Ansehen in der Gesellschaft.

  • Viele Jobs bieten Flexibilität bei den Arbeitszeiten.

  • Schulen und Kindergärten beginnen bzw. öffnen zeitig, bieten einen Frühhort an.

​

Die Normalzeit lässt uns folglich die Wahl und ermöglich so einen selbstbestimmten Umgang mit Zeit und Tageslicht.

Mit der Sommer-Uhrzeit hingegen wird uns diese Wahlmöglichkeit genommen. Sie verpflichtet alle zum zeitigen Aufstehen und nimmt uns die Wahl am Morgen eine Stunde länger zu schlafen. Uns wird ein früherer Zeitplan aufgezwungen, egal ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht, und egal ob wir es wollen oder nicht - die Entscheidung wurde für uns getroffen. Denn leider ist es nahezu unmöglich, sich einen späteren Tagesablauf zu organisieren, insbesondere für Familien mit Kindern.

​

Später mit der Arbeit zu beginnen hat immernoch sehr geringe gesellschaftliche Akzeptanz. Wer spät kommt gilt als faul oder undiszipliniert. Kitas erwarten, dass Kinder bis spätestens 9:00 Uhr gebracht werden. Kernarbeitzeiten liegen oft zwischen 9:00 und 15:00 Uhr. Wer aufgrund seines biologischen Schlaffensters auf einen Arbeits-/Kitabeginn von 9:00 Uhr angewiesen ist, um ohne Schlafmangel in den Tag gehen zu können, der hat unter der Sommer-Uhrzeit verloren. Denn auch wenn 9:00 Uhr auf der Uhr steht, so ist es doch in Wirklichkeit erst 8:00 Uhr - zu früh für das biologische Schlaffenster mancher Menschen. Noch tragischer wird es für Familien mit Schulkindern. Die Schule beginnt statt 7:30 Uhr oder 8:00 Uhr unter der Sommer-Uhrzeit bereit 6:30 Uhr oder 7 Uhr, auch wenn dies durch die verdrehte Uhr verschleiert wird. Hinzu kommen oft weite Schulwege. Ein pünktliches Erscheinen ist dort für kaum jemanden ohne den Gebrauch eines Weckers möglich. 

​

Die Sommer-Uhrzeit gibt Menschen zwar mehr Licht nach der Arbeit, zwingt aber viele zu täglichem Schlafmangel. Eine Wahl haben wir unter ihr nicht. Die Normalzeit hingegen gibt jedem Menschen die Möglichkeit zu wählen und sich den Tagesablauf individuell zu organisieren, der ihm gut tut - ob zeitig aufstehen oder morgens länger schlafen. Statt eine restriktive Vorgabe wie der Sommer-Uhrzeit, ist es empfehlenswert, Uhren auf der richtigen Zeit zu lassen und Möglichkeiten zu erkunden, Arbeits-, Schul und Kita-Zeiten flexibler zu gestalten.

​

Normalzeit als ein Recht auf Gesundheit

​

Die öffentliche Debatte, welche Zeitzone dauerhaft gelten soll, die Normalzeit oder die Sommer-Uhrzeit, und deren Repräsentation in Umfragen und Medien, suggeriert ein demokratisches Entscheidungsverfahren. Doch ist es rechtens über Gesundheit demokratisch abzustimmen? Denn guter Schlaf ist mehr als eine Vorliebe. Unzureichender oder schlechter Schlaf schadet der Gesundheit erheblich. Und die Anwendung einer Zeitzone, die zu weit im Osten für die geographische Lage des Landes liegt (Sommer-Uhrzeit) gefährdet die Gesundheit der Bürger.

 

Deutschland hat, so wie alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, das Menschenrechtsabkommen "Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte" unterzeichnet [Unit03].

Die Unterzeichner verpflichten sich, die Bedingungen zur Erfüllung dieses Rechts stetig zu verbessern.

​

In Artikel 12 Abs. (1) des Pakts erkennen die Vertragsstaaten "das Recht eines jeden auf das für ihn erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit an." Laut Abs. (2) sind zur vollen Verwirklichung dieses Rechts die "erforderlichen Maßnahmen [...] zur gesunden Entwicklung des Kindes; zur Verbesserung [...] der Arbeitshygiene" und "zur Vorbeugung [...] epidemischer und endemischer Berufs- und sonstiger Krankheiten" zu ergreifen.

Internationaler Pakt über

wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

Artikel 12

       

(1)  Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden auf das für ihn

      erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit an.

(2)  Die von den Vertragsstaaten zu unternehmenden Schritte zur vollen

      Verwirklichung dieses Rechts umfassen die erforderlichen Maßnahmen

      a)   zur Senkung der Zahl der Totgeburten und der Kindersterblichkeit

            sowie zur gesunden Entwicklung des Kindes;

      b)   zur Verbesserung aller Aspekte der Umwelt- und der Arbeitshygiene;

      c)   zur Vorbeugung, Behandlung und Bekämpfung epidemischer,

            endemischer, Berufs- und sonstiger Krankheiten;

     d)   zur Schaffung der Voraussetzungen, die für jedermann im

            Krankheitsfall den Genuss medizinischer Einrichtungen und ärztlicher

            Betreuung sicherstellen.

Aus dem gemeinsamen öffentlichen Brief "An die EU-Kommission" von den wissenschaftlichen Vereinigungen European Biological Rhythm Society (EBRS), European Sleep Research Society (ESRS) und Society for Research on Biological Rhythms (SRBR) geht hervor, dass unter Experten wissenschaftlicher Konsens zur gesunden Wahl der Zeitzonenfrage besteht:

​

"Die Standardzeit verbessert unseren Schlaf (1), ist gesünder für unser Herz (2) und unser Gewicht (3). Das Krebsrisiko sinkt (4), zusätzlich zum reduzierten Alkohol- und Tabakkonsum (5). Die Menschen werden psychisch gesünder sein (6) und die Leistung in Schule und Arbeit wird sich verbessern (7). Das Ende der halbjährlichen Uhrenumstellung bietet die einzigartige landesübergreifende Möglichkeit, die allgemeine Gesundheit durch den Einsatz der Standardzeit zu verbessern."

​

             (Übersetzt aus dem Englischen, Originaltext: https://esrs.eu/wp-content/uploads/2019/03/To_the_EU_Commission_on_DST.pdf)

​

Somit kann sowohl die Beibehaltung der saisonalen Umstellung auf die Sommer-Uhrzeit, wie auch die Implementierung einer ganzjährigen Sommer-Uhrzeit als Verstoß gegen das hier betrachtete  Menschenrechtsabkommen verstanden werden. 

Zu einem ähnlichen Schluss führt ein Blick in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Als Bestandteil unserer Grundrechte besagt Artikel 2 Abs. (2) "Jeder hat das Recht auf [...] körperliche Unversehrtheit." [Basi00]

Die Fortsetzung der saisonalen Sommer-Uhrzeit wie auch die Implementierung der ganzjährigen Sommer-Uhrzeit sind mit der heutigen Kenntnis ihrer gesundheitlichen Auswirkungen in Deutschland nicht konform mit der Verfassung.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland

I. Die Grundrechte 

Artikel 2

   

(1)  Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit           er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen 

       die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2)  Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die

       Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund

       eines Gesetzes eingegriffen werden.

Normalzeit für Fairness und Chancengleichheit - Inklusion statt Diskriminierung

​

Unsere üblichen Arbeits-, Schul- und Kitazeiten bevorzugen frühe Chronotypen und benachteiligen mittlere und späte. Eine Ungleichbehandlung, die durch die Sommer-Uhrzeit verschärft wird.

Frühe Chronotypen, die von Natur aus abends bereits zeitig müde werden und am morgen zeitig aufwachen, passen bestens in unsere sozialen Strukturen. Sie können Einrichtungen wie Schule und Kita zwanglos ohne Schlafmangel nutzen. Die Arbeitszeiten der meisten Jobs erlauben ihnen tägliches Ausschlafen.

Die Mehrheit der Menschen gehört jedoch biologisch bedingt zu den mittleren oder späten Chronotypen. Sie sind auf spätere Anfangszeiten angewiesen, um ausgeschlafen in den Tag gehen zu können. Je nach Chronotyp und sozialer Verpflichtung ist es für diese Menschen eine Herausforderung, sich einen Tagesablauf zu organisieren, der ein Leben ohne Schlafmangel ermöglicht. In vielen Fällen ist dies gar unmöglich. Chronischer sozialer Jetlag ist die Folge. Die Betroffenen leiden unter Tagesmüdigkeit, haben ein erhöhtes Risiko zu erkranken, sind tagsüber weniger produktiv und erbringen folglich schlechtere schulische und akademische Leistungen. Dies führt unweigerlich zu Benachteiligungen bei der Karriere.

Um dieser Ungleichheit entgegenzuwirken, müssten Arbeitsplätze, Schulen und Kitas einen späteren Beginn ermöglichen. Die Sommer-Uhrzeit bewirkt jedoch das Gegenteil. Durch die Vorstellung der Uhr beginnen Jobs und soziale Einrichtungen noch eine Stunde früher. Ein Umstand, der es den Benachteiligten noch schwerer macht.

​

Besonders dramatisch ist die Entscheidung mancher junger Menschen keine Kinder zu bekommen, weil sie sich nicht in der Lage sehen, mit den vorgegebenen Zwängen eines frühen Beginns (Kita, Schule) noch ein lebenswertes Leben zu führen. Durch eine weitere Verfrühung sozialer Zeiten durch die Sommer-Uhrzeit wird manchen Menschen das natürliche Recht entzogen, eine Familie zu gründen bzw. die Elternschaft in vollem Maße - ohne chronischen Schlafmangel und seinen Folgen - genießen zu können.

​

Hinsichtlich Diskriminierung gehört Deutschland zu den fortschrittlichsten Ländern der Welt. Wir setzen uns ein für Gleichberechtigung und Gleichbehandlung von Menschen verschiedenen Geschlechts, ihrer Hautfarbe, ihrer Herkunft, ihrer sexuellen Orientierung, ihres Glaubens, ihrer politischen Meinung.  Lebensumstände zu schaffen, die Menschen aufgrund ihres Chronotyps diskriminieren, wie die Sommer-Uhrzeit, entsprechen nicht den moralischen Standards unserer modernen Gesellschaft. Die dauerhafte Normalzeit ist ein Schritt zur Inklusion. 

​

Normalzeit schützt Wahlmöglichkeiten, Rechte und fördert Inklusion

​

Um allen Menschen einen selbstbestimmten Umgang mit Zeit zu ermöglichen, unser Recht auf das Höchstmaß an körperlicher und geistiger Unversehrtheit zu wahren und Menschen unabhängig ihres Chronotyps eine faire Chance auf gesellschaftliche Teilhabe zu gewähren, müssen wir die Uhrenumstellung auf die Sommer-Uhrzeit beenden und zur dauerhaften Normalzeit zurückkehren. Dauerhafte Normalzeit bedeutet Wahlmöglichkeit statt Zwang, das Recht auf ein gesundes Leben und Inklusion statt Diskriminierung.

​

bottom of page