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Schluss mit dem Energiespar-Sommerzeit-Mythos: Die Sommerzeit spart keine Energie

Stellungnahme zum Artikel „Wirtschaftsmathematiker sieht Einsparpotential durch Sommerzeit“ der Nachrichtenagentur dts vom 23. September 2022 und der damit verbundenen Studie „Stromersparnis der Zeitumstellung bei privaten Haushalten“ von Prof. Dr. von Blanckenburg (2016).



Am 23. September 2022 wurde über die Nachrichtenagentur dts folgende Meldung in verschiedenen Online- und Printmedien verbreitet: „Wirtschaftsmathematiker sieht Einsparpotential durch Sommerzeit“ [1]. Einige Medien haben den Titel etwas verändert, die Inhalte jedoch für sich genutzt [2]. Die Meldungen verweisen auf eine Studie von Prof. Dr. rer. pol. habil. Korbinian von Blanckenburg, Professor für Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsmathematik und Dekan des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften an der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe in Lemgo. Die Berichterstattung versäumt dabei, sowohl in der von den Medien übernommenen Meldung der Presseagentur dts [4] als auch in den etwas überarbeiteten Artikeln, wie z.B. in der Rheinischen Post vom 23.09.2022 [2], zu erwähnen, dass es sich um eine Studie von 2016 handelt. Vielmehr wird der Eindruck erzeugt, es handle sich um neueste Forschungsergebnisse. Auch ist völlig unklar in welchem zeitlichen Kontext die Meinungsäußerungen von Herrn Reul zu dieser veralteten Studie einzuordnen sind.


Die Schlussfolgerungen der Studie durch die Studienautoren sind aus wissenschaftlicher Sicht mangelhaft. Dennoch findet eine unreflektierte Verbreitung dieser durch die Medien statt. Diese, sowie die Unterschlagung des Veröffentlichungsdatums und der Quellenangabe durch dts und in den dts nutzenden digitalen und Print-Medien vom 23.09.2022, leisten nicht nur einer Verwirrung über das Thema Vorschub, sondern provozieren eine faktenverzerrende Entscheidung zugunsten einer dauerhafter Sommerzeit, deren vor allem chronobiologische Schädlichkeit (Schlafmangel, Zunahme gesundheitlicher Risiken, Unfallhäufigkeit etc.) mittlerweile weitgehender wissenschaftlicher Konsens ist [13] – von der Irrelevanz der Energieeinsparargumente einmal abgesehen.


Von den genannten Medien wünschenswert wäre stattdessen eine kritische Betrachtung der Studie, sowie eine realitätsnahe Darstellung des Themas, die auch auf andere Studien zur Thematik Bezug nimmt.


Zahlreiche Studien widerlegen eine nennenswerte Energieeinsparung von Strom durch die Sommerzeit [7, 9, 11]. Diese Ansicht wird auch durch das Bundesumweltamt [6] vertreten. Studien, die auch andere Energieformen einbeziehen, führen ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die Sommerzeit nicht zu einer Energieeinsparung führt [7, 10]. Einige zeigen sogar einen gegenteiligen Effekt [8, 12]. Auf dieser Grundlage, sowie der nachgewiesenen negativen Wirkung der Sommerzeit auf die Gesundheit der Bevölkerung, sind Schlagzeilen, die die Entscheidung für eine ganzjährigen Sommerzeit provozieren, als unaufgeklärt oder gar verantwortungslos einzustufen.


Bei der Studie, auf die sich die zuvor genannten Meldungen beziehen, handelt es sich um „Stromersparnis der Zeitumstellung bei privaten Haushalten“, Autoren: Korbinian von Blanckenburg und Julian Strauch, publiziert am 15. April 2016 [3]. In der Studie wird bei oberflächlicher Betrachtung der vermeintliche Nachweis erbracht, dass es zu Energieeinsparungen durch Umstellung auf MESZ – „Sommerzeit“ – kommen würde.

Die Studie ist jedoch aus wissenschaftlicher Sicht lückenhaft und von mangelnder Aussagekraft. In der Studie [3] werden viele Tests der Daten gemacht, die auf Problematiken hinweisen. Da aber die Grundaussage weiter gestützt wird, werden diese Ergebnisse in der Interpretation weggelassen. Das Modell sieht schwierig aus, ist aber ein simpler Gedanke: Mehr „Dunkelstunden“ und geringere Temperatur/weniger Bewölkung haben einen Einfluss auf den Stromverbrauch. Wird ein Regressionsmodell genutzt, dann gehört formal ans Ende stets noch ein „+e“, der Fehlerterm „error“, indem man alle Messungenauigkeiten verdeutlicht. Dieser wurde jedoch weggelassen, weil er für die Berechnungen keine praktische Relevanz hat. Doch so, wie die Studie geschrieben wurde, gehört dieser dazu. Es hätte dazu geführt, noch mal tiefer über die Messfehler nachzudenken – was der Studie sicher gut getan hätte. Die Daten an sich sind ungenügend beschrieben. Es wurde nicht das ganze Jahr betrachtet, sondern nur die Tage vor und nach der Uhrzeitumstellung. Es wurde aus einer viel zu kleinen Stichprobe eine Regression errechnet deren Ergebnisse daher nicht seriös sind. Zwei Fälle reichen da bei weitem nicht aus. Darüber bleibt der Begriff und die Berechnung der „Dunkelstunden“ unklar. Aussagen wie: „Mit der Zeitumstellung verringert sich die Zahl der Dunkelstunden pro Tag um eine Stunde, während die Zeitumstellung morgens eine zusätzliche Dunkelstunde pro Tag bewirkt." sind hierbei wenig dienlich. Die Hochrechnung ist unzulässig. Im Text wird selbst die Aussage getroffen, dass aufgrund von fehlenden und verzerrenden Daten eigentlich nur die Tage rund um die Uhrzeit Umstellung betrachtet werden können. Alles was die Studie also aussagen kann, bezieht sich einzig und allein nur auf die Tage vor und nach der Uhrzeitumstellung. Dennoch erfolgt am Ende eine Hochrechnung auf das ganze Jahr. Die Schlussfolgerung wird somit nicht durch wissenschaftlich erhobene Daten gestützt.


Des Weiteren nehmen die Autoren die zu der Zeit existierenden Studien zum Strom-Energie-Verbrauch nicht zur Kenntnis, beispielsweise die einen Monat vor Veröffentlichung am 31.03.2016 im Bundestag bekannt gegebene Technikfolgenabschätzung (TA) „Bilanz der Sommerzeit“ [5]. Es wird auch nicht auf die Beschränkung der Studie auf den Stromverbrauch privater Haushalte hingewiesen. Betriebe oder Schulen etc. werden nicht berücksichtigt, ohne dies zu begründen. Auch Energiekosten wie Energie für Heizung, Warmwasser oder Klimaanlagen werden nicht in die Betrachtung einbezogen. Ebenfalls wird nicht begründet, warum ausgerechnet Kassel und Kempten repräsentativ sein sollen. Es werden missverständliche Formulierungen verwendet: „Da die Zeitumstellung zu einer Reduktion von einer Dunkelstunde pro Tag führt, ergibt dies einen Rückgang von insgesamt 210 Dunkelstunden pro Jahr." Natürlich bleibt die Zahl der Dunkel- (oder Hell-)stunden durch die Umstellung gleich, sofern man das auf die üblichen Tagesabläufe bezieht (was die Autoren offensichtlich tun). Es wird weiterhin in der Studie verweisen auf die Folgen für tierische Rhythmen. Das ist Unsinn, weil Tiere sich eindeutig am Hell-Dunkel-Zyklus orientieren und nur durch das veränderte Verhalten der Menschen (z.B. Melkzeiten nach der Uhr) davon betroffen sein können. Dies ist ein weiteres Beispiel für die Undifferenziertheit in dieser Studie, aus der heraus falsche Behauptungen entstehen. Die Autoren zeigen in der Studie insgesamt eine erschreckende Unkenntnis der Komplexität der Debatte und der dazu verfügbaren Literatur. Eine Kenntnis des state-of-the-art wäre eigentlich Voraussetzung für eine seriöse Beteiligung an der öffentlichen Diskussion.


Ein umfassenderes Bild der Komplexität des Themas – und damit auch die Einbettung der Energiefragen in einen breiteren Kontext, der für eine seriöse auch volkswirtschaftliche Beurteilung unabdingbar ist, zeigen u. a. der von verschiedenen internationalen Experten erstellte „Vorschlag zur Einführung dauerhafter Zeitzonen in Europa“ [13] und das Dossier „Die Zukunft der Sommerzeit“ der Deutschen Gesellschaft für Zeitpolitik [14].


Ein verantwortlicher Umgang mit den Mitmenschen, der die bestehende Faktenlage zum Thema Sommerzeit anerkennt und sich öffentlich für die ganzjährige richtige Zeitzone für Deutschland, die MEZ (Mitteleuropäische Zeit) ausspricht, ist unumgänglich und sollte nicht durch faktenverzerrende Studien und Veröffentlichungen seitens der dts sowie den digitalen und Print-Medien unnötig konterkariert werden.


Deutscher Landesvorsitz der Internationalen Allianz für Natürliche Zeit

BetterTimes – Für gesunde Soziale Zeiten


Prof. Dr. Dietrich Henckel

Deutschen Gesellschaft für Zeitpolitik



Quellen:

  1. Exemplarisch: dts Nachrichtenagentur, ‘Wirtschaftsmathematiker sieht Einsparpotential durch Sommerzeit’, Oldenburger Onlinezeitung, Sep. 23, 2022. https://www.oldenburger-onlinezeitung.de/nachrichten/wirtschaftsmathematiker-sieht-einsparpotential-durch-sommerzeit-92077.html (accessed Oct. 27, 2022).

  2. Exemplarisch: ‘PressReader.com - Digital Newspaper & Magazine Subscriptions’. https://www.pressreader.com/germany/rheinische-post-langenfeld/20220924/281762748123472 (accessed Oct. 27, 2022).

  3. K. von Blanckenburg and J. Strauch, ‘Stromersparnis der Zeitumstellung bei privaten Haushalten’, Wirtschaftsdienst, vol. 96, no. 4, pp. 265–272, Apr. 2016, doi: 10.1007/s10273-016-1968-2.

  4. dts Deutsche Textservice Nachrichtenagentur GmbH. https://www.dts-nachrichtenagentur.de/.

  5. B. für T.-A. beim D. Bundestag, ‘TAB - Themen und Projekte - Projekteübersicht - Bilanz der Sommerzeit’, Sep. 14, 2022. https://www.tab-beim-bundestag.de/projekte_bilanz-der-sommerzeit.php (accessed Oct. 27, 2022).

  6. C. Meunier, ‘Tipps zum Energiesparen – die Zeitumstellung tut es nicht’, Umweltbundesamt, Oct. 24, 2014. https://www.umweltbundesamt.de/themen/tipps-energiesparen-die-zeitumstellung-tut-es-nicht (accessed Oct. 27, 2022).

  7. David B. Belze, Stanton W. Hadley, and Shih-Miao Chin: ‘Impact of Extended Daylight Saving Time on National Energy Consumption’, p. 177. https://www1.eere.energy.gov/ba/pba/pdfs/edst_national_energy_consumption.pdf.

  8. Kotchen MJ & Grant LE (2009): Does Daylight Saving Time save energy? Evidence from a natural experiment in Indiana. The review of economics and statistics: 14

  9. Silva, J; Couto, A; Duque, J: Análise técnica do impacto da mudança de hora legal na penetração da geração de energia renovável não controlável no consumo em Portugal continental (2018), S. 29

  10. Decreto-Lei 17/96, 1996-03-08 Diário da República Eletrónico

  11. Havránek T, Herman D & Iršová Z (2018) Does Daylight Saving Save Electricity? A Meta-Analysis. The Energy Journal

  12. Hecq, Walter; Borisov, Youri; Totte, Marc: Daylight saving time effect on fuel consumption and atmospheric pollution. In: Science of The Total Environment Bd. 133 (1993), Nr. 3, S. 249–274

  13. Working group on natural time, ‘Proposal on implementing permanent time zones in the EU’, BTUI, p. 17, Oct. 2022. In deutscher Fassung: https://www.gobettertimes.org/_files/ugd/49e3d3_d3c9af5f97644bf7a3c2199e31a1e596.pdf. In weiteren Sprachen: https://www.timeuse.barcelona/permanent-time-zones-eu. (accessed Oct. 27, 2022).

  14. D. Henckel, B. Gernig, and U. Mückenberger, ‘Die Zukunft der Sommerzeit’, p. 48. http://zeitpolitik.org/wp-content/uploads/2022/03/Zukunft_der_Sommerzeit.pdf. (accessed Oct. 27, 2022).


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