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Stellungnahme zum Ergebnisbericht der Studie der TH OWL “Zeitumstellung” vom März 2021

Im März 2021 veröffentlichte die Technische Hochschule Ostwestfalen-Lippe (TH OWL) den Ergebnisbericht zur Studie „Zeitumstellung“, durchgeführt von den folgenden Autoren:


  • Prof. Dr. rer. pol. habil. Korbinian von Blanckenburg (seit 2014 Professor für Volkswirtschaftslehre an der TH OWL; Forschungsschwerpunkte: Industrieökonomik, Wettbewerbspolitik)

  • Prof. Dr. rer. nat. Dipl.-Psych. Barbara Steinmann (seit 2020 Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der TH OWL; Forschungsschwerpunkte: Führung und Persönlichkeit, Arbeit und Gesundheit, Personalentwicklung, Arbeitsgestaltung)

  • Prof. Dr. rer. pol. Tobias Schäfers (seit 2020 Professor für Marketingpsychologie an der TH OWL, zudem Associate Professor of Marketing an der Copenhagen Business School; Forschungsschwerpunkte: Konsumentenverhalten, Dienstleistungsmarketing, Preismanagement)


Der Ergebnisbericht zur Studie kann unter folgendem Link eingesehen werden: Ergebnisbericht. Auf der Webseite der TH OWL wird zudem wie folgt über die Studie berichtet: Artikel auf der Webseite der TH OWL.


Die Studie wird in Kerninhalten dem formulierten Anspruch nicht gerecht. Das ist vor allem deshalb problematisch, weil weitreichende Schlussfolgerungen gezogen werden: Auf Folie 16 (und ähnlich auf Folie 2) des Ergebnisberichts der Studie wird behauptet:


„Werden die Folgen von dauerhafter Sommer- und Winterzeit verdeutlicht, ist die Präferenz für eine ganzjährige Sommerzeit deutlich höher, die Akzeptanz einer dauerhaften Winterzeit deutlich geringer und ist es einem geringeren Anteil der Deutschen egal, welche Regel gilt.”

Bei der Studie handelt es um eine reine Meinungsforschung, sie leistet aber entgegen der eigenen Behauptung keinerlei Beitrag zur Aufklärung über die Folgen der Umstellung.

Abbildung 1: Fragevarianten an die Teilnehmer der Studie. Auszug aus der Berichterstattung der     Studie „Zeitumstellung“ der TH OWL vom März 2021.
Abbildung 1: Fragevarianten an die Teilnehmer der Studie. Auszug aus der Berichterstattung der Studie „Zeitumstellung“ der TH OWL vom März 2021.

Die Befragung erläutert lediglich für einen (zufällig ausgewählten) Teil der Befragten die unterschiedlichen Sonnenauf- und -untergangszeiten bei dauerhafter Sommer- sowie bei dauerhafter Winterzeit (siehe Abb. 1). Dies ist aber keine Auseinandersetzung mit den kurz- und langfristigen Folgen der Umstellung. Zu den Folgen (einer der Autoren hat immerhin zu der Frage der Energieeinsparung selbst geforscht) herrscht tatsächlich ein Mangel an Aufklärung in der Bevölkerung, obwohl es mittlerweile eine umfangreiche wissenschaftliche Literatur dazu gibt. Da das interdisziplinäre Team der Studie diese erstaunlicherweise offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen hat, wird durch das Framing der Erhebung und die Interpretation der Ergebnisse eine Aufklärung leider nicht gefördert. Im Gegenteil wird der Umsetzung der – nach dem gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Diskussion – schlechtesten Variante, der Einführung der dauerhaften Sommerzeit, Vorschub geleistet.


Dass die dauerhafte Sommerzeit gleichzusetzen ist mit der Annahme einer Zeitzone, die zu weit im Osten für die geographische Lage des Landes liegt und folglich die Uhrzeit nicht mehr die tatsächliche Tageszeit anzeigt, welche auf dem Sonnenstand basiert, wird verschwiegen.

Die Studienteilnehmer*innen werden nicht darüber informiert, dass sich der Schlaf-Wach-Rhythmus genau diesem Sonnenstand aber anpasst und nicht der Uhrzeit. Daher ist Sommerzeit gleichzusetzen mit der Verpflichtung, eine Stunde zeitiger aufstehen zu müssen, auch wenn die Uhr uns etwas anderes vorgaukelt. Die Teilnehmer*innen werden auch nicht darüber informiert, welche Folgen eine solche Verfrühung der sozialen Abläufe durch Sommerzeit hat.

Durch Sommerzeit nehmen Schlafqualität und -dauer ab, was zu einer Verringerung der geistigen [1–3] und der körperlichen Gesundheit [4–7] führt, sowie zu einer Verringerung des Wohlbefindens [8–12], einer Verringerung der kognitiven Leistungsfähigkeit sowohl im akademischen Bereich [13–15] als auch bei der Arbeit [16–18], zu einer Verringerung der Produktivität [16,18] und, damit verbundenen, zu einer Reduktion des Einkommens [16,17,19].


Die gesundheitlichen Folgen der Sommerzeit (insbesondere einer dauerhaften) hat die SRBR (Society for Research on Biological Rhythms), die 700 Mitglieder aus über 40 Ländern repräsentiert, wie folgt zusammengefasst:

„Die Sommer-Uhrzeit führt zu Schlafmangel und Diskrepanz zwischen der inneren Uhr und der lokalen Uhrzeit (auch sozialer Jetlag genannt). Sowohl Schlafmangel, wie auch sozialer Jetlag, haben negative Effekte auf die körperliche und geistige Gesundheit, sie erhöhen das Risiko für Diabetes, Fettleibigkeit, Herzkrankheiten, Depression und einige Krebsarten." [20].

Wie dringend notwendig eine Aufklärung zu den Folgen von Sommer- oder Winterzeit ist, zeigt sich auch in dem Teilergebnis der Studie, nach welchem die dauerhafte Sommerzeit vermehrt von Abendtypen und weniger von Morgentypen bevorzugt wird. Abendtypen brauchen (zu großen Anteilen biologisch bedingt) abends eine längere Dunkelphase, um einschlafen zu können und früh länger Licht, um wach zu werden. Sie sind dementsprechend eher abends wach als früh am Morgen. Gerade für diese Bevölkerungsgruppe ist es körperlich besonders belastend, wenn Arbeit und Schule durch Sommerzeit noch eine Stunde früher beginnen.


Auch suggeriert die Fragestellung auf Folie 21 „Wie lange dauert es, bis sie sich an die Zeitumstellung gewöhnt haben?“, dass eine Gewöhnung an die Sommerzeit erfolge. Dies scheint eine subjektive Wahrnehmung der Mehrheit der Studienteilnehmer zu sein. Wissenschaftliche Studien, die den tatsächlichen körperlichen Zustand erfassen (Biomarker, Auftretenswahrscheinlichkeiten von gesundheitlichen Problemen etc.) zeigen jedoch das Gegenteil [21–24]. Der wissenschaftliche Konsens ist, dass sich der Körper nicht daran gewöhnt.


Wenn die Befragung tatsächlich mit einer inhaltlichen Aufklärung über die Folgen der Umstellung verbunden worden wäre, hätte sie ein großes Potenzial haben können. So bleibt sie ein weiteres Beispiel für Studien, die eher zur Verwirrung und Festigung von Vorurteilen beitragen als zu einer dringend wünschenswerten rationalen Diskussion über die Abschaffung der Sommerzeit.


Manuela Lipinsky Nunes




Deutscher Landesvorsitz der Internationalen Allianz für Natürliche Zeit




Prof. Dr. Dietrich Henckel

Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Zeitpolitik






Siehe auch:

Die Zukunft der Sommerzeit (D. Henckel, Björn Gernig, U. Mückenberger. Dossier der Deutschen Gesellschaft für Zeitpolitik): http://www.zeitpolitik.de/pdfs/Zukunft_der_Sommerzeit.pdf



Literatur

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[2]. Levandovski, R. et al. Depression Scores Associate With Chronotype and Social Jetlag in a Rural Population. Chronobiology International 28, 771–778 (2011).

[3]. Foster, R. G. et al. Sleep and Circadian Rhythm Disruption in Social Jetlag and Mental Illness. in Progress in Molecular Biology and Translational Science vol. 119 325–346 (Elsevier, 2013).

[4]. Borisenkov, M. F. Latitude of Residence and Position in Time Zone are Predictors of Cancer Incidence, Cancer Mortality, and Life Expectancy at Birth. Chronobiology International28, 155–162 (2011).

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[7]. Potter, G. D. M. et al. Circadian Rhythm and Sleep Disruption: Causes, Metabolic Consequences, and Countermeasures. Endocrine Reviews 37, 584–608 (2016).

[8]. Wittmann, M., Dinich, J., Merrow, M. & Roenneberg, T. Social Jetlag: Misalignment of Biological and Social Time. Chronobiology International 23, 497–509 (2006).

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[10]. Almoosawi, S., Palla, L., Walshe, I., Vingeliene, S. & Ellis, J. Long Sleep Duration and Social Jetlag Are Associated Inversely with a Healthy Dietary Pattern in Adults: Results from the UK National Diet and Nutrition Survey Rolling Programme Y1–4. Nutrients10, 1131 (2018).

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[22]. Roenneberg, T. Chronobiologische Aspekte der Sommerzeit. Somnologie 23, 247–252 (2019).

[23]. Roenneberg, T., Kumar, C. J. & Merrow, M. The human circadian clock entrains to sun time. Current Biology 17, R44–R45 (2007).

[24]. Hadlow, N. C., Brown, S., Wardrop, R. & Henley, D. The effects of season, daylight saving and time of sunrise on serum cortisol in a large population. Chronobiology International 31, 243–251 (2014).

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