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Handel

Der Einfluss der Anzahl an Zeitzonen auf den Handel

Im Hinblick auf die Abschaffung der Uhrenumstellung, möchten nationale wie europäische Politiker vermeiden, dass Europa durch die Annahme zu vieler verschiedener Zeitzonen ein Flickenteppich wird. Es besteht die Sorge, die Anzahl der Zeitzonen wirke sich negativ auf den Handel der Länder untereinander aus [Euro19, Scha19]. Die Analyse der verfügbaren Literatur zeigt jedoch, dass Bedenken dieser Art unbegründet sind.

Bevor wir uns dem Thema Zeitdifferenz und Handel widmen, ist es wichtig zu erwähnen, dass der größte Einflussfaktor auf die Ausbildung von Handelsbeziehungen nicht die Zeit, sondern die geografische Entfernung ist. Generell nimmt der Handel zwischen Ländern mit zunehmender geografischer Entfernung ab. Es überrascht daher nicht, dass Deutschlands größte Handelspartner die europäischen Länder sind. Der Handel mit den euröpäischen Ländern macht rund 66 % der Exporte und 72 % der Importe aus. Unmittelbare Nachbarländer wie Frankreich, die Niederlande, Österreich, Polen und Belgien sind Beispiele, die die Bedeutung der geografischen Nähe für die Entwicklung von Handelsbeziehungen demonstrieren [Oec:00].

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Dennoch werden verschiedene Handelsarten unterschiedlich von der geografischen Entfernung beeinflusst.

Exporte

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Importe

Where did Germany import from in 2018.pn
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Abbildung 1: Übersicht über die deutschen Exporte und Importe im Jahr 2018 [Thea00].

Im Dienstleistungssektor machen es beispielsweise die Fortschritte bei den Informationstechnologien und der damit einhergehenden elektronischen und digitalen Infrastruktur möglich, geographische Entfernungen digital zu überwinden. Auf den Dienstleistungssektor hat diese daher nur einen geringen Einfluss. Auch spielt die geographische Entfernung bei Dienstleistungen im Bereich Verkehr und Tourismus keine Rolle spielt [Naka18].

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Nun zurück zur Problematik der Zeitzonen: 

Neben dem Einfluss der geographischen Entfernung, betrachten Ökonomen, welche die Auswirkung es auf die Wirtschaft hat, wenn Handelpartner verschiedenen Zeitzonen angehören. Dies kann für Unternehmen sowohl von Vorteil wie auch von Nachteil sein. Ökonomen unterscheiden zwischen dem Kontinuitätseffekt und dem Synchronisationseffekt [Naka18]

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Der Kontinuitätseffekt beschreibt die Fähigkeit, über die Arbeitszeit hinaus (z. B. 9:00 bis 17:00 Uhr) zu produzieren, indem der Prozess an einem anderen Ort in einer anderen Zeitzone „weitergeführt“ wird. Ein bekanntes Beispiel, das den Kontinuitätseffekt illustriert, ist die US-amerikanische und indische Softwareindustrie, bei der Ingenieure in Indien, die zu einer Tochtergesellschaft, einer Niederlassung oder einem Partnerunternehmen gehören, den vom amerikanischen Ingenieur initiierten Programmierprozess fortsetzen oder umgekehrt. Dadurch verkürzt sich die Vorlaufzeit bis zur Auslieferung des Produkts. Der Kontinuitätseffekt wirkt sich positiv auf den Handel aus [Naka18​].

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Der Synchronisationseffekt hingegen betrifft eine Verringerung des Kontakts zwischen verschiedenen kommerziellen Einheiten aufgrund einer Verzögerung der Dienstzeiten (9:00 Uhr in Standort A entspricht 17:00 Uhr in Standort B), wodurch deren interne Prozesse weniger effizient sind oder die Kommunikation mit internationalen Kunden beeinträchtigt wird. Der Synchronisationseffekt wirkt sich negativ auf den Handel aus [Naka18​].

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Welchen Einfluss diese Effekte unterm Strich auf den Handel haben, lässt sich dennoch schwer quantifizieren oder gar verallgemeinern. Zum einen sind die Einflüsse je nach Handelssektor, Art der Industrie und natürlich Standort und Zeitzone eines Landes sehr verschieden. Zum anderen sind sich Ökonomen nicht über das Ausmß der einzelnen Effekte einig [BrFe19, EgLa13, Toma13]. Im Allgemeinen scheinen jedoch Dienstleistungen von der Existenz von Zeitzonen eher zu profitieren [Dett14, Toma13, Chri17] während Industriegüter Verluste erleiden [Toma13, Chri17].

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Nichtsdestotrotz geben die Analysen Grund zur Beruhigung, was die innereuropäische Diskussion über die Wahl der Zeitzonen anbelangt. Zum einen zeigen Studien, dass sowohl positive wie auch negative Effekte von Zeitzonendifferenzen erst signifikant werden, wenn die Unterschiede zwischen den Zeitzonen gleich oder größer als 4-5 Stunden betragen [Chri17, Toma13]. Manche Autoren gehen sogar davon aus, dass erst ein Zeitunterschied von 9 Stunden zu signifikanten Effekten führt [Dett14]. Zweitens sind die Dimensionen dieser Effekte auf den Handel, sei es in Gewinn oder Verlust, verhältnismäßig klein [BrFe19, Chri17, Dett14, EgLa13, Toma13]. Eine Schätzung für die USA geht beispielsweise davon aus, dass eine Zunahme der Zeitzonendifferenz um eine Stunde eine Verringerung des Handels um etwa 60 Millionen Dollar bewirken würde, was einem Verlust von lediglich von 0,0025 % entspräche [Toma13].

 

Die Wirtschaft der USA und die der Europäischen Union lassen sich in vielerlei Hinsicht vergleichen. Beide haben die wichtigsten Einzelmärkte der Welt inne und werden von mehreren Zeitzonen durchzogen. Innerhalb der Europäischen Union beträgt der maximale Zeitzonenunterschied zwei Stunden, deutlich unter den 4 oder 5 Stunden, bei denen Kontinuitäts- oder Synchronisationseffekte frühestens signifikant werden. Darüber hinaus kompensieren, Gewinne oder Verluste in der Größenordnung von 0,0025% nicht die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen, die sich aus dem Leben der Bevölkerung in der falschen Zeitzone, wie der Sommer-Uhrzeit, ergeben.

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Fazit: Es gibt keine Studien, die einen signifikanten negativen Effekt von Zeitzonenunterschieden innerhalb Europas indizieren oder gar belegen. 

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Spezielle Auswirkungen der Sommer-Uhrzeit auf den Handel

Manche meinen, die Sommer-Uhrzeit komme bestimmten Wirtschaftsbereichen zugute (Golf, Einzelhandel) [Mich18FaNW16]. Wieder andere glauben, einen positiven Einfluss der Normalzeit auf andere Bereiche wahrzunehmen (Landwirtschaft, Theater, Kino, Fernsehen, Streaming-Dienste, Personal- und Unternehmensdienstleistungen) [Bria13FaNW16]. In der verfügbaren Literatur lassen sich jedoch keine verlässlichen Zahlenwerte für diese Aussagen finden.

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Bemerkenswert ist eine 1999 von der Europäischen Union an ein privates Unternehmen in Auftrag gegebene Studie [ReVa99], die zunächst zu zeigen scheint, dass der kommerzielle Freizeitsektor (Tourismus, Restaurants, Reisen usw.) während der Sommer-Uhrzeit einen Zugewinn von 3% erfährt [ArNe08, ReVa99]. Die Verlässlichkeit dieses Ergebnisses ist jedoch mit äußerster Vorsicht zu genießen. Die Studienautoren selbst halten es für „unmöglich, Schlussfolgerungen über diesen Sektor auf klare und konkrete Beweise zu stützen, da das meiste verwendete Material aus den Meinungen, Ahnungen und Annahmen der in diesem Sektor tätigen Personen stammt“ [JaSA14, ReVa99]. Denn Tatsache ist: Die in der Studie konsultierten Unternehmen und Betriebe waren noch nie während eines Sommers ohne Sommer-Uhrzeit tätig.

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Eine 2009 veröffentlichte Studie belegt zudem diesen Zugewinn nicht. Sie zeigt, dass etwa ein Drittel (33%) der mit ähnlichen Methoden befragten Freizeitanbieter in Perth, Australien, der Meinung ist, dass die Sommer-Uhrzeit für ihr Geschäft schädlich ist, nur 15% halten die Sommer-Uhrzeit für vorteilhaft, und der Rest (die Mehrheit) steht der Sommer-Uhrzeit gleichgültig gegenüber [AlOg09]. Nähme man dennoch diese Schätzung des 3%igen Zuwachses für die Europäische Union als gerechtfertigt an, würde dieser für Deutschland bei einer 7 monatigen Sommer-Uhrzeit einen Gewinn von 1268 Millionen Euro bedeuten (basierend auf den Werten von 2018 aus dem "Atlas der wirtschaftlichen Komplexität" für Reise und Tourismus). Dies entspräche einem Zuwachs des Handels um lediglich 0,066 % [Thea00].

 

Zu den Auswirkungen einer ganzjährigen Sommer-Uhrzeit auf den kommerziellen Freizeitsektor (z. B. ob der Wintertourismus damit reduziert oder erhöht wird) gibt es bislang keine Studien.

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